Seit einem Vierteljahrhundert setzt sich Andrea Albiez für den Religionsunterricht im Kanton Basel-Stadt ein. Nun wird die langjährige Rektorin des Rektorats für Religionsunterricht der Römisch-Katholischen Kirche in Basel-Stadt pensioniert. Im Gespräch zieht sie Bilanz und erklärt, weshalb der Religionsunterricht an die staatliche Primarschule gehört.
Andrea Albiez, was motiviert Sie für Ihre Arbeit?
Ich hatte als Kind hervorragenden Religionsunterricht. Das hat mich dazu gebracht, Theologie zu studieren. Ich habe Freude am Glauben entwickelt und auch an der inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihm. Ich möchte, dass Kinder einen tollen Religionsunterricht erleben.
Was ist ein toller Religionsunterricht?
Es bedeutet, direkt angesprochen zu sein und etwas für die eigene persönliche Weiterentwicklung zu bekommen.
Was ist dieses Etwas, das «Reli»-Lehrerinnen und Lehrer an der Schule vermitteln?
Im kirchlichen Religionsunterricht von der ersten bis zur sechsten Primarschule werden Elementarfragen angesprochen, die zur Lebens- und Erfahrungswelt der Kinder gehören. Wir werden geboren und wir sterben. Es gibt Streit, Freude, Enttäuschungen und alles, was das Leben so mit sich bringt. Der Religionsunterricht ist die Hüterin solcher Sinnfragen. Im Alltag der Schule ist eher wenig Raum für solche elementaren Fragen. Wir geben den Kindern Raum für ihre Fragen zu Gott und die Welt. Und wir versuchen, ihnen eine Ahnung von Gott zu vermitteln, denn viele Kinder haben solche Fragen. Im Religionsunterricht ist Platz dafür.
Sie begannen 1999 als Religionslehrerin in Basel und sind seit 2010 Rektorin für Religionsunterricht der RKK. Ende September werden Sie pensioniert. Welches waren Ihre Hauptaufgaben als Rektorin?
Das Rektorat ist zuständig für das Personal, ich führe 20 bis 25 Mitarbeitende. Wir rekrutieren geeignete Fachkräfte und ich stelle Religionslehrpersonen an. Dann werden die Pensen gemacht, das heisst, wer arbeitet wie viele Lektionen an welchem Schulstandort. Wir sorgen dafür, dass im Religionsunterricht jeden Morgen eine Religionslehrperson vor der Klasse steht. Den Religionsunterricht an der Schule organisieren wir ökumenisch. Auch haben wir viel Kontakt mit den Schulleitungen und tauschen uns regelmässig mit der Volksschulleitung im baselstädtischen Erziehungsdepartement aus. Und ich bin Mitglied des Pastoralraumteams der RKK Basel-Stadt.
Welche Aufgabe als Rektorin war Ihnen besonders wichtig?
Wir sind für die Religionslehrpersonen da und unterstützen sie bei Bedarf gemeinsam mit pensionierten Lehrpersonen, die viel Erfahrung und Kenntnissen im Unterrichtsfach Religion mitbringen. Wir geben ihnen Mut für ihre Arbeit und motivieren sie. Wir hören gut hin bei Kritik und, wenn der Schuh drückt. Auch haben wir regelmässig gesellige Anlässe, an denen wir einfach zusammen feiern. Das ist immer sehr stimmig und machen wir natürlich ökumenisch.
Welches waren für Sie die guten Momente in all den Jahren Ihres Wirkens?
Immer, wenn ich den Religionsunterricht besucht habe und er so war, wie ich ihn in jungen Jahren selbst erlebt hatte, war das einfach schön. Auch ein schöner Moment war, als der «Ökumenische Lehrplan für den Religionsunterricht an der Primarschule Basel-Stadt» endlich fertig war. Es steckt viel Zeit, Arbeit und Herzblut in diesem Lehrplan. Er ist auf der Höhe der Zeit und im Vorwort ist nachzulesen, weshalb es den Religionsunterricht an der Schule heute braucht.
Welches sind die Eckpfeiler im ökumenischen Lehrplan?
Wir haben im Lehrplan zehn Kompetenzen formuliert, die im Laufe der sechs Jahre Primarschule erreicht werden sollen. Diese Kompetenzen haben wir mit Inhalten verbunden – Geschichten, insbesondere biblischen Geschichten. Das ist uns sehr gut gelungen. Ein Beispiel aus dem Alten Testament ist die Josefsgeschichte, eine Familiengeschichte. Primarschulkinder sind noch ganz stark im Bereich Familie unterwegs. Sie verstehen genau, was es bedeutet, wenn der Vater eines seiner Kinder den anderen Kindern vorzieht und dies die Geschwister untereinander neidisch macht.
Gab es auch schwierige Momente während Ihrer Zeit als Rektorin?
Wo Menschen mit Menschen zusammenarbeiten, kann es Konflikte geben. (Schmunzelt) Schwierig war, als vor 15 Jahren die Pfarrversammlung in Basel fand, wir schaffen jetzt den Religionsunterricht an der Schule ab. Mal gab es einen Anzug im Grossen Rat, der den Religionsunterricht ganz aus der Schule verbannen wollte, oder es gibt Eltern, die dies fordern. Das ist eigentlich Alltag bei uns.
Der kirchliche Religionsunterricht an der Schule wird immer wieder infrage gestellt. Weshalb braucht es ihn ausgerechnet in Basel-Stadt, ein Kanton mit überdurchschnittlich vielen Konfessionslosen und einem hohen Anteil an Menschen aus anderen Religionen und Kulturen?
Die Antwort gibt der staatliche Lehrplan 21, der verpflichtend das Thema Religion in den Unterrichtsplan auf Primarstufe aufgenommen hat. Wir können Kindern nicht Bildung vermitteln und dabei das Thema Religion komplett aussen vor lassen. Ja, Basel-Stadt ist ein heteroreligiöser Stadtkanton, hier leben Kinder aus ganz vielen verschiedenen Religionen und Kulturen zusammen und das bringt natürlich auch Konflikte mit sich. Doch gerade Konflikte werden entschärft, wenn die Kinder nicht nur über ihre eigene Religion etwas wissen, sondern auch andere Religionen und Weltsichten kennenlernen. Dies hilft, um Toleranz zu entwickeln und besser miteinander umzugehen. Zudem hat Religion etwas mit Vergangenheit und Tradition zu tun. Es ist wichtig, unsere Traditionen zu kennen. Europa ist christlich geprägt und diese Wurzeln sollten alle kennen.
In Fachkreisen sprach man vor ein paar Jahren noch vom Unterricht in und über die Religion. Ist dieses Modell noch aktuell?
Ja, wobei wir inzwischen von teaching from religion sprechen, weil die heiligen Geschichten nicht nur in der christlichen Religion, sondern auch in anderen Religionen dieselben universellen Botschaften transportieren. Die Religionspädagogin Carola Jäkle in Basel hat dazu die Arbeitshilfe «Raum der Religionen» entwickelt. Sie arbeitete in einem Schulhaus, an dem es praktische keine Kinder mit einem christlichen Hintergrund gab. Sie sagte sich: Wenn ich die Kinder in christlicher Religion unterrichte, muss ich auch auf ihre Herkunftsreligionen eingehen. Seither werfen wir ab der ersten Klasse immer auch einen Blick in andere Religionen.
Worum geht es konkret im «Raum der Religionen»?
Im «Raum der Religionen» gehen wir von den grundlegenden Lebenserfahrungen aller Menschen aus unabhängig von ihrer Kultur und Religion. Etwa die Erfahrung von Licht und Dunkel, Leben und Tod oder Schuld. Alle Religionen kennen solche Themen. Im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) des Lehrplans 21 lautet eine Überschrift «Religionen und Weltsichten begegnen». Bei uns in Basel-Stadt treffen Religionen und unterschiedliche Weltsichten im Religionsunterricht direkt aufeinander.
Ende September verlassen Sie das Religionspädagogische Zentrum im Hatstätterhof am Lindenberg. In welchem Zustand übergeben Sie das Rektorat Ihrer langjährigen Weggefährtin Regina Erlekam und Team?
Wir sind gut unterwegs. Wir haben in den letzten zwei Jahren mit der kantonalen Volksschulleitung in einer gemeinsamen Projektgruppe intensiv zusammengearbeitet und den Rahmen für eine künftige Kooperation entwickelt. Im Sommer 2025 ist es dann so weit: Dann wird die sogenannte «Handreichung Stundentafel Primarschule» neu aufgesetzt, und darin ist die Kooperation zwischen dem ökumenischen Religionsunterricht und dem Schulfach NMG verbindlich geregelt. Wir haben jetzt schon ein paar Projektschulen, die das so machen. Die Aufgabe von Regina Erlekam und ihrer reformierten Kollegin, Rektorin Ursula Schubert, wird es sein, diesen kooperativen Ansatz in den nächsten Jahren Schritt für Schritt einzuführen. Unsere Lehrpersonen sind schon dazu weitergebildet. Wir sind also hervorragend aufgestellt für die Zukunft, und unsere Basis ist der ökumenische Lehrplan, den wir gemeinsam mit der Evangelisch-Reformierten Kirche herausgeben.
Zuletzt eine persönliche Frage: Bald beginnt für Sie ein neuer Lebensabschnitt. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Ich bin gespannt auf das Neue. Wenn mich jemand fragt, was machst du dann, sag ich immer: Ich schau mal, was der liebe Gott mir vorbeischickt.
Andrea Albiez, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute.
Interview: Anna Wegelin
Medienmitteilung vom 19. September 2024
Andrea Albiez zum Dank von der Leitung der Römisch-Katholischen Kirche RKK Basel-Stadt
Ökumenischer Lehrplan für den Religionsunterricht an der Primarschule Basel-Stadt
Webseite Religionspädagogisches Zentrum am Lindenberg in 4058 Basel