Wenn uns das Wort „Glaube“ in unserer Alltagssprache begegnet, klingt das meist so, als sei „glauben“ das Gegenteil von „wissen“: Man weiss etwas nicht, sondern glaubt bzw. vermutet etwas…
Ist denn Glaube ein schlechter Ersatz für echtes, „richtiges“ Wissen?
In den Naturwissenschaften haben wir es mit handfestem Wissen zu tun.
Hier weiss man beispielsweise sehr genau, wie weit der Mond von der Erde entfernt steht, man kann das mit moderner Technik auf den Millimeter genau berechnen.
In den Naturwissenschaften kann man die Dinge sehen, hören, an Messgeräten ablesen, und man erhält scheinbar stichfeste Beweise.
Diese Art von Wissen funktioniert jedoch im Bereich der Religion nicht.
Ich kann nicht mit Messgeräten beweisen, dass es Gott gibt.
Ich kann zwar auch nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt, aber es scheint doch erst mal eins zu null gegen die Religion zu stehen.
Wenn man genauer hinsieht, merkt man schnell, dass da eigentlich Äpfel mit Birnen verglichen werden. Anders gesagt: Glaube und Naturwissenschaften spielen gar nicht gegeneinander, ja sie spielen nicht einmal im selben Stadion!
Wenn der Geoforscher über die Entstehung der Welt nachdenkt, dann fragt er, WIE die Entstehung der Welt vor Millionen Jahren abgelaufen ist. Seine Forschungen liefern den Menschen interessante und meist unbestreitbare Ergebnisse.
Aber andere Fragen bleiben offen. Es sind die Fragen nach dem WARUM.
Einige Antwortversuche auf solche Fragen können wir Christen in der Bibel finden.
Hier finden wir zum Beispiel die Botschaft, dass die Entstehung der Welt kein „kosmischer Unfall“ war. Es soll Gott gewesen sein, der die Entstehung der Welt –wir würden es heute Evolution nennen – überhaupt in Gang gesetzt hat.
Er ist der Grund dafür dass es plötzlich etwas gibt „und nicht nichts“.
In der Erzählung von der Erschaffung der Erde heisst es ausserdem:
Gott schuf den Menschen „nach seinem Ebenbild“.
Das bedeutet, dass der Mensch für Gott etwas Besonderes ist. Zwischen Mensch und Gott soll eine besondere Beziehung bestehen. Gott sieht im Menschen eine Ansprechperson, einen Partner.
Die Bibel stellt Gott mit einem besonderen Namen vor:
JAHWE bedeutet „Ich bin da“.
Daraus können wir zwei Bedeutungen herauslesen.
Und das ist im biblischen Neuen Testament auch genau die Übersetzung vom griechischen Wort für Glauben:
„pisteuein“ bedeutet „vertrauen“ (und nicht ein unbestimmtes „ich weiss nicht“).
Mit dem Wort „Religion“ ist es übrigens ähnlich. Wörtlich bedeutet es „anbinden“ oder „zurückbinden“ (religare). Es gibt etwas, dass ist mir so wichtig, dass ich mein Leben daran binde.
Es gibt Menschen, für die Gott das wichtigste überhaupt ist. Jesus von Nazareth hat dies vorgelebt und aus einem tiefen Gottvertrauen heraus gehandelt. Er setzte sich für eine Welt ein, wie sie sich Gott vorstellt, und nannte diese Welt „Reich Gottes“ (siehe auch den Roots-Artikel über Jesus).
Für ihn hiess das:
So stellt Jesus die Menschen in die Mitte, die für gewöhnlich an den Rand gedrängt werden.
Sein radikaler Einsatz für die, die sich in Hoffnungslosigkeit befinden, sein Einsatz für die materiell Armen, sein Streben, Dinge friedlich zu verändern, das ist für Jesus das „Reich Gottes verwirklichen".
Jesus schafft es sogar, sein Gottvertrauen bis zu seinem Tod durchzuhalten.
Und wenn die Urchristen nur wenige Zeit später begeistert davon erzählen, dass Gott Jesus nicht im Tod gelassen, sondern auferweckt hat, dann ist das die letzte Konsequenz ihres Verständnisses von einem Glauben, der stärker ist als der Tod.
Wenn ich darauf vertraue, dass Gott der Ursprung allen Lebens ist und Gottes Liebe stärker als der Tod, dann kann ich das Leben in einem ganz anderen Blickwinkel sehen, und das Leben bekommt einen besonderen Kraftschub.
Und: wenn Gott Ursprung von allen Lebens ist, dann hat Gott in allen Lebewesen eine Spur von sich hinterlassen:
Der Glaube macht also stark. Der Glaube gibt uns Menschen einen besonderen Wert. Der Glaube macht das Leben zu einer Aufgabe und macht den Blick für andere Menschen frei.
Gott verpflichtet uns Menschen, mit all unserer Kraft am Reich Gottes zu arbeiten. Doch dort, wo der Mensch an seine Grenzen kommt, müssen wir nicht an unseren Grenzen verzweifeln.
Glaube heisst darauf vertrauen, dass Gott Dinge vollenden kann, die der Mensch allein nicht vollenden kann.
Glaube heisst darauf vertrauen, dass Gott am Ende für Gerechtigkeit sorgt, und dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
In der „Apokalypse“ beschreibt Johannes, wie er sich das Paradies auf Erden vorstellt, und auch wenn wir wissen, dass wir das Paradies im Heute nie ganz verwirklichen können, gibt es uns eine Ahnung und Hoffnung, dass wir darauf hin leben können:
„Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen,“ (Offb 21, 3-4)
Es gibt viele Menschen, die von sich sagen, dass sie nicht an Gott glauben können.
Viele von ihnen setzen sich dennoch auf positive Weise mit der Frage auseinander, was in ihrem Leben wirklich wichtig ist und fühlen sich – auch ohne Gottesglauben – Werten wie Gerechtigkeit, Friede und Fairness verpflichtet.
Doch es gibt in der Gesellschaft auch Gruppen, die sich mit solchen Fragen gar nicht bewusst auseinandersetzen. Ihre Lebensorientierung resp. das, woran sie sich gebunden (vgl. religare) fühlen, bleibt dann unausgesprochen.
Wo ein ausgesprochener Glaube fehlt, übernehmen unbewusst oft andere „Glaubenssätze“ das Zepter, und zwar in den allermeisten Fällen die „Werte“, die in der Gesellschaft gerade „hip“ sind - zum Beispiel der Glaube an das Geld oder an das Recht des Stärkeren.
Und gerade weil solche Glaubenssätze im Verborgenen wirken, beeinflussen sie die Menschen viel stärker und machen sie in ihrem Leben unkreativ und abhängig.
Was bringt es eigentlich, zu glauben?
Viele Menschen sind von der Frage bewegt, ob sie sich selbst annehmen können resp. lieben können, so wie sie sind.
Viele Menschen fühlen sich immer ungenügend und sind darin gefangen, ihr Selbstwertgefühl von äusserem Erfolg (in der Schule, im Sport, bei Freunden, im Geld) abhängig zu machen.
Im Glauben weiss ich, dass ich von Gott geliebt bin, und zwar so wie ich bin. Ich bin wertvoll mit meinen Stärken und meinen Schwächen. Dieses Wissen kann ich als Geschenk annehmen. Es heisst nicht, dass ich mich in meinem Leben nicht mehr entwickeln soll, im Gegenteil. Sich aber geliebt zu wissen ist für jede meiner Weiterentwicklungen eine wunderbare Ausgangsposition.
Die Kernfrage ist dabei: Wie komme ich zu diesem Vertrauen?
Anderseits gibt es viele Menschen, die erleben dieses Vertrauen oft nicht, oder sie haben das Gefühl, diesem Gefühl von "Geliebt sein" ständig hinterher rennen zu müssen.
Ich kann mir immer wieder Zeit nehmen, um dieses "Du bist gut, wie du bist, WEIL du bist, wie du bist" in mir zu entdecken, und ich kann mich mit Menschen umgeben, die mich in diesem Gefühl stärken, ohne mir nur zu schmeicheln.
Deshalb ist es eine Art "Gnade", den Glauben in sich zu entdecken und immer wieder als Energie-Kraftwerk in sich zu spüren.
Wenn ich den Glauben suchen und entdecken will, so darf ich auch geduldig sein.
Der Glaube ist etwas, das wächst und sich manchmal erst mit der Zeit entfaltet.
Auf der Spur des Glaubens ist sogar der Zweifel etwas, was ab und an dazu gehört.
Alexander Mediger